Von Anton Schumann, erschienen im HAZ Magazin 4/2020

Bist du wegen deiner Herkunft oder deines Aussehens innerhalb der LGBTQ+ Community diskriminiert oder beleidigt worden oder hast du womöglich Schlimmeres erlebt? Dann ist dieser Beitrag vieleicht für dich.

Meine Motivation für diesen Artikel rührt aus der Frage: Ist es normal, dass wir fremdenfeindlich sind? Bei meiner Recherche habe ich rasch bemerkt, dass man darüber ganze Bücher schreiben könnte, versuche mich aber hier kurzzufassen und eine neue Perspektive aufzuzeigen.

Theoretisch leben wir in einem Land, in dem gar nicht diskriminiert werden darf.
Art. 8 Bundesverfassung: Rechtsgleichheit 1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 2. Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

Beispiele aus meinem Alltag zeigen mir jedoch, dass dies oft nicht so gut praktiziert wird: 

  • Offene Diskriminierung auf Dating Apps wie: no blacks, no asians, no fems, no fats – die Liste kann beliebig weitergeführt werden.
  • Riesige, fremdenfeindliche LGBT-Gruppen auf Social Media Plattformen wie Facebook.
  • Frauenhassende Männer, männerhassende Frauen, transmenschen-hassende Gays.
  • Menschen, die sich über das Alter, die Krankheiten, die Behinderungen und/oder den Sozialstatus ihrer Mitmenschen lustig machen.
  • Drag Queens, die auf Zürichs Strassen bedroht und beleidigt werden.
  • Beschimpfungen, wenn zwei Männer auf der Strasse Hände halten.
  • Unzählige Beispiele, die ich als ehrenamtlicher Berater der LGBTQ+ Helpline und als Life Coach in meiner Praxis höre.


Dazu kommt das Smalltalk-Bashing wie: Er hat zu viele Muskeln, sie ist zu burschikos, er ist zu eingebildet, sie ist eine Bitch, er lebt zu gesund, sie ist eine Diva, er ist zu haarig, sie ist zu perfekt, er ist zu weiblich, zu alt, zu jung usw. Egal wie du bist, es gibt immer jemand, der dich ganz fest nicht gut findet.

Und dann gibt es natürlich noch die Realität ausserhalb dieses Landes. Mord, Folter und Hinrichtungen – obwohl man von der gleichen Rasse, aber einfach anders ist.

Da also diese Vorurteile praktisch jeden zu betreffen scheinen: Sind sie deswegen normal?
Müssen wir damit leben und sind möglicherweise die Hormone schuld?
Will man den neuesten Forschungsresultaten glauben und nach meiner aktuellen Meinung gehen: Dan JEIN! Aber darauf gehe ich später ein.

Als weisser Schweizer Mann werde ich nie erfahren, was es bedeutet, eine andere Herkunft, eine andere Hautfarbe oder ein anderes Geschlecht zu haben. Natürlich ist das anders, wenn ich im Ausland bin.
Doch selbst in der Schweiz wurde ich als Schweizer gemobbt. Als ich noch knackige 19 Jahre alt war und in der Romandie lebte, brauchte es nur ein «je suis suisse allemand» von mir und der Flirt war dahin. Wenn ich mich heute auf einer Dating-App als Schweizer oute, kommt oft gleich ein Satz wie:
«Oh, complicated and a lot of bla bla if there is a date at all». So werden wir vorverurteilt, beschämt und runtergemacht, jeden Tag. Und ich weiss, dass meine Beispiele absolut harmlos sind. Das macht sie aber nicht angenehmer. 
Reicht nicht schon die gute alte Homophobie? Braucht es auch noch Xeno- und Transphobie in den eigenen Reihen?

Ist es normal, dass wir manchmal menschenfeindlich sind?

Normal bedeutet: Der Norm entsprechend, vorschriftsmässig. Also laut Vorschrift Art. 8 in der BV sollten wir uns nicht über andere stellen. Aber entspricht es der menschlichen Norm? Da es den meistens von uns passiert: leider ja. Müssen wir also damit leben? Nein. Mitgefühl und Inklusion sind lernbar. Also sind die Hormone schuld? Natürlich sind die Hormone nicht schuld, sie können uns aber beeinflussen – wenn wir sie lassen.

Dopamin, dieses Hormon, dass dich motiviert zu essen und dich zu vermehren, wird ebenfalls ausgeschüttet, wenn du dich überlegen fühlst.
In praktisch jedem meiner Beiträge gehe ich auf dieses Hormon ein, denn wir können es heute nicht mehr ignorieren. Dopamin «macht» uns handysüchtig, alkohol- und nikotinabhängig, lässt uns Chips statt Salat essen und faulenzen statt Sport zu treiben. Und Dopamin wird eben auch ausgelöst, wenn wir uns jemandem überlegen fühlen. Studie auf: PNAS March 12, 2013 110 (11) 4363-4367.

Dann gibt es noch Oxytocin. Dieses Hormon fördert unter anderem die Bindungsfähigkeit und ist ein Schlüsselhormon beim Gebären eines Kindes. Es beeinflusst jedoch auch unseren Ethnozentrismus.
Ethnozentrismus ist die Tendenz, Angehörige der eigenen Ethnie oder Mitglieder der vertrauten Kultur, Gesellschaft, Familie oder Organisation höher zu schätzen als Aussenstehende und sich diesen überlegen zu fühlen. Er führt «zu einer Abgrenzung zwischen Gruppen, die Vorurteile, Fremdenangst und Gewalt zwischen den Mitgliedern verschiedener Gruppen fördert», so die Wissenschaftler im Journal «PNAS»[1].

Bindung und Zugehörigkeit fördern also auch Abgrenzung. Irgendwie logisch oder?

Abgrenzung ist das eine, aber warum entscheiden wir uns, zu hassen?
Hass entsteht aus Angst. Angst haben wir, wenn wir uns bedroht fühlen. Daraus kann Wut entstehen, die uns befähigt, uns zu schützen. Je länger wir uns auf diese Angst-Bedrohung-Wut-Sache konzentrieren, desto berechtigter scheint uns dieses Gefühls – und daraus kann Hass entstehen. Hasserfüllte Menschen vernichten alles, wovor sie Angst haben – mit allen Mitteln. Das sehen wir jeden Tag in den News.

Was kannst du also tun, wenn dich das nächste Mal jemand runtermachen oder diskriminieren will?

  • Denk daran, dass diese Person in erster Linie Angst empfindet und sich auf irgendeiner Weise von dir bedroht fühlt – berechtigt oder unberechtigt. Es ist seine/ihre Angst. Es hat nichts mit dir persönlich zu tun.Trotzdem,signalisiere, dass eine Grenze überschritten wurde und sage, dass dich die Aussage, die Haltung oder das Verhalten verletzt.
  • Wenn möglich, zeig Mitgefühl, denn auch du hast oder hattest womöglich schon Vorurteile.
    Erinnere dich an deine eigenen Ängste und sei ein Vorbild in Sachen Toleranz. Das heisst aber nicht, dass du dich beleidigen lassen musst. Mitgefühl schliesst das Setzen von gesunden Grenzen nicht aus!
  • Wenn jemand gegen Artikel 8 verstösst, erstatte eine Anzeige.
  • Finde Gemeinsamkeiten. Das von Musafa Sherif durchgeführte Robbers-Cave-Experimente bewies, rivalisierende Gruppen können zu Freunden werden, sobald sie gemeinsame Ziele, Werte und oder Moralvorstellungen finden.

Fazit: Ein bewusster Mensch kann entscheiden, ob er sich über andere stellen will oder nicht. Man wird nicht zu einem besseren Menschen, indem man sich negativ über andere äussert. Man wird zu einem besseren Menschen, indem man sein eigenes Niveau erhebt und sich immer wieder hinterfragt. Mein Wunsch ist, dass jeder von uns für sein Denken und Fühlen 100% Verantwortung übernimmt und somit ein Vorbild für andere wird – so kommen wir als Community weiter.

Anton Schumann ist Gay Life-Coach, lebt und arbeitet seit 20 Jahren in einem multikulturellen Umfeld. Sein Ziel: Menschen auf ihrem Weg zu ihren Lebenszielen begleiten. Denn erfüllte und zufriedene Menschen bereichern die Welt.

https://www.anton-schumann.ch/


Linktipps
[email protected]
https://queeramnesty.ch/asylsuchende


[1] Proceedings of the National Academy of Sciences 

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