Dieser Text erschien zuerst im HAZ MAGAZIN 1/2020 – Hier geht’s zu den PDF-Ausgaben


Text: Henrik Amalia von Dwitz

Als ich als junger Mensch meinen Platz in der Welt suchte, fühlte ich mich immer ein wenig verloren. Ich wollte eine Freundesgruppe, die mich so akzeptierte wie ich bin – aber ich hatte Angst, dass sie mich irgendwann nicht mehr mögen würden. Ich hatte mehrere Freundesgruppen, mehrere Interessen, mehrere Hobbies, mehrere Internetfreunde; dort noch einen Account, hier noch eine oberflächliche Bekanntschaft. Ich hatte viele Freund:innen, spannende Hobbies und ein Umfeld, dass mein Queersein nicht nur zelebrierte, sondern auch akzeptierte. Und doch lauerte in mir diese grosse Angst, dass sich eines Tages doch alle von mir abwenden; dass sie auf einmal meine Stimme zu laut; mein Auftreten zu forsch; meine Seele zu kleinlich und sowieso alles zu was auch immer finden würden. Ähnlich erging es mir in der LGBTQI+ Community. Ich wollte auch so bunt und wunderbar queer sein. Ich wollte dazugehören, wollte alle kennen und dass mich alle kennen. Doch diese innere Stimme, dass ich nicht queer genug bin, nicht cool genug und nicht bunt genug, war oft lauter. 

Um nicht enttäuscht zu werden, knüpfte ich viele oberflächliche Freundschaften und fand viele oberflächliche Communities. Ich merkte aber bald dass dass alles im Überfluss zu haben, nichts wert ist, wenn es nicht in die Tiefe geht. Und wenn ich mir diese Tiefe wünsche, dann muss ich einen Schritt darauf zugehen. Also entschied ich mich, die Suche einzustellen. 

Ich begann den Prozess, den ich „Friends Minimalism“ nenne. Ähnlich wie beim Minimalismus selbst, ging es mir darum, die Freundschaften aufrecht zu halten, die mir wirklich was bedeuteten. Es ging darum, immer mehr zu reduzieren, bis schliesslich das engste Netz an Freunden blieb. Es ging darum, damit klar zu kommen, nicht allermenschen Liebling zu sein. Nicht überall tausend Menschen zu kennen und den eigenen Wert über diese Bekanntschaften definieren. 

Und auch die Community, die ich meine queere Familie nenne, ist kleiner geworden. Sie besteht aus Menschen, die ich meine Geschwister nennen würde. Wie das bei Geschwistern so ist, meldet sich teilweise keine:r von Beiden – über Monate hinweg. Plötzlich entdecken alle die Freuden des Drag und verbringen Stunden schminkend im Badezimmer. Dann sehen wir uns ein paar Stunden an Poetry Slam Veranstaltungen oder im Theater. Und immer wieder gibt es Diskussionen wegen dem geteilten Netflixaccount, weil einer auf zwei Accounts gleichzeitig schaut. Es ist so eine richtig tolle Chaostruppe. Familie eben. Nicht umsonst nennen wir uns die „Family of Confusion“. Und weil wir alle in anderen Städten wohnen und andere Beschäftigungen nachgehen, haben wir einen Whatsapp-Chat, wie viele andere Familien auch. Wir schreiben über unsere Sorgen, machen Witze, teilen Geschichten und bewegende Momente.  Wir unterstützen uns beim Outing, beraten bei legalen Fragen und beschnippsen uns gegenseitig mit einem «Yas» obendrauf. 

Ich bin heute angekommen, habe meinen Platz in der Welt gefunden. Meine verwirrten Geschwister, die immer für mich da sind, werden immer Teil meiner Welt bleiben. Genau wie der bedingungslose Support, den ich bekomme und gebe. Ich bin unendlich dankbar für meine queere Familie, mit der ich über Dinge sprechen kann, die mensch eben nur mit der Familie bereden kann. Und ich freue mich auf das nächste Familientreffen. 

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